Was bisher geschah - Blogs 2019:

 

16.1.2019: Skulpturissimo (Deichtorhallen Hamburg)

21.1.2019 Bossard in Hamburg

30.1.2019: Tierfreunde, traurig (Hundefriedhof Harmstorf, Kreis Harburg)

5.2.2019: Hetaera esmeralda (Kunstverein Buchholz)

19.2.2019: Die Bossard-Schau (Archiv der Kunststätte Bossard in Jesteburg, Kreis Harburg)

19.3.2019: In Rixdorf ist Musike...(Kunstverein Buchholz)

4.6.2019: Sizilien:  Die Bilder. Erstes Kapitel: Nach dem Erdbeben (Gibellina und Poggioreale)

5.6.2019: Sizilien: Die Bilder. Zweites Kapitel: Die Bilder. Friedhof am Ätna

10.06.2019: Sizilien: Die Bilder. Drittes Kapitel: Seitensprung. Matera (Basilicata)

12.6.2019: Sizilien: Die Bilder. Viertes Kapitel: Bei den Zyklopen von Siracusa

15.6.2019: Sizilien: Die Bilder. Fünftes Kapitel: Die toten Häuser (Zafferana, Catania)

15.6.2019: Sizilien: Die Bilder. Sechstes Kapitel: Auf den Straßen der Städte

19.6.2019: Sizilien: Die Bilder. Siebtes Kapitel: Kirchen in Gold oder naturale? (div.)

24.6.2019: Sizilien: Fußnote (div.)

21.7.2019: Von Brücke und Bauhaus (Oldenburg)

23.7.2019: Bossard unter der Brücke (Jesteburg/Kreis Harburg)

21.8.2019: So ist die norddeutsche Art? (NordArt Büdelsdorf bei Rendsburg)

17.10.2019: "Jede der Scherben / spiegelt das Licht" (div. Orte)

28.10.2019: "Iss immer düller / Zwieback von Trüller" - Celle und das Neue Wohnen

15.11.2019: Die Fruchtfolge des militärisch-industriellen Komplexes (Halbinsel Wustrow, Rerik, Mecklenburg)

22.11.2019: Die Welt sammeln - Iserhatsche in Bispingen (Heidekreis)

16.12.2019: Faust im Moor (Hermansnnshoftheater Wümme, Landkreis Harburg)

 

 

 

 

Montag, 16. Dezember 2019 - Faust im Moor

 

Endlich schaffen wir es mal wieder zu einer Aufführung des Puppentheaters auf dem Hermannshof in Wümme.  Goethes Faust als Puppenspiel – das ist wirklich ein ambitioniertes Unterfangen. Und dann auch noch in achtzig Minuten durchgezogen, dauert das Schauspiel auf der Bühne doch gern zwei- bis dreimal so lange. Aber es geht – nicht zuletzt durch die Konzentration, die sich durch die Beschränkung auf eine Spielerin ergibt. Antje König (oben, mittendrin) spielt alle Puppen, den Faust wie den Mephisto, Gretchen und Marthe, die Hexe, Gretchens Bruder Valentin und Wagner, den Schüler Fausts. Mal schlüpft sie auch in das Mephisto-Kostüm, mal ist sie die verruchte Dirne in Auerbachs Keller, und immer wieder fokussiert sie das Geschehen auf ein paar Hand- oder Kopfbewegungen der Puppen, in denen so vieles mitschwingt und nichts ablenkt, und auf ihre raunende, kreischende, werbende, sinnende Stimme.Bilder unten von links: Gretchen, Mephisto mit Faust, Mephisto - zweite Reihe: Faust / Mephisto / Marthe, Mephisto, Valentin

 

So können wir uns voll auf Gretchen und Faust konzentrieren, auf den alten weißen Mann und seine unerfüllten erotischen Träume, und auf das Schicksal der missbrauchten jungen Frau. Die Bedeutungen werden nicht auf dem silbernen Tablett populistischer Vereinfachungen serviert, deshalb fühle ich mich keinesfalls berufen, hier eine abschließende Interpretation zu wagen – was wollten die Macher des Hermannshoftheaters uns mitteilen, was ist ihre Faust-Botschaft? Was weiß denn ich.  Was mir nur auffiel: In meiner Erinnerung stand der Konflikt des Wissenschaftlers im Mittelpunkt und treibt ihn zum teuflischen Pakt mit Mephisto. In dieser Inszenierung jetzt steht das Geschehen zwischen Faust und Gretchen eindeutig im Mittelpunkt. Und es sollte mich wundern, wenn ich der Einzige bin, dem "me too" und gender-Debatte durch den Kopf gehen, fuck ju, Goethe! Vielleicht verstehe ich mehr, wenn ich mir das Ganze noch ein zweites Mal ansehe, es lohnt sich allemal.

 

(frühere Inszenierungen des Hermannshoftheaters im BilderBlog: Pique Dame – post vom 23.12.2012, und Anna Karenina, post vom 22.2.2013)

 

 

Freitag, 22.November 2019

Die Welt sammeln - Iserhatsche in Bispingen

 

Jeder hat mal was gesammelt - Bierdeckel, Getränkedosen, Panini-Bildchen, die Liste ist lang und von großer Vielfalt. Einer, der alles sammelt, hat vor dreißig Jahren eine Villa in Bispingen gekauft. Die Villa heißt "Iserhatsche" und wurde 1913 für einen Berliner Industriellen errichtet, ging 1929 in den Besitz der Familie Reemtsma über und war im Zweiten Weltkrieg und bis in die fünfziger Jahre hinein Lazarett und  Ausweichkrankenhaus. 1986 übernahm ein Berliner Handwerker die Immobilie und baut seitdem seinen Kindertraum. Es gibt den Berg der Sammlungen, über zehn Meter hoch, mit den (nach eigenen Angaben) weltgrößten Sammlungen von Bierflaschen und Zündholzschachteln. Der Chef sammelt Teppichklopfer und Kinderschlitten, Blumengießkannen und Eulenfiguren, Hufeisen und alles, was nicht niet- und nagelfest ist. In dem Berg gibt es auch ein Trauzimmer mit handgeschnitzten Holzstühlen und den dazugehörigen Raum für Hochzeitsfeiern (mittlere Reihe li und Mitte), lauschige Kneipen-Ecken und überall Wandgemälde - der Chef ist Malermeister und Restaurator. Er hat das Diana-Zimmer aus Schloss Sancoussi nachgebildet, das Schloss Lichtenstein aus leeren Weinflaschen (3. Reihe rechts), Hufeisen und sonstigen skurrilen Materialien. Ich habe meine Toleranzgrenzen ausgetestet, was schwerfiel, und bin doch letztlich von hinnen gegangen mit dem Fazit, kaum je etwas Kitschigeres und Überflüssigeres gesehen zu haben. Nun ja, solche Einschätzungen sind schwer subjektiv.

Übrigens habe ich mir das Ganze angesehen, weil in dem Ausweichkrankenhaus eine der Mord-Ärztinnen aus dem Kinderkrankenhaus Rotenburgsort ab 1944 als Oberärztin gearbeitet hat. Ab 1947 war sie dann in Hamburg als Schulärztin und bis weit in die siebziger Jahre als niedergelassene Kinderärztin tätig. Vielleicht war mein Kopfschütteln auf die kognitive Dissonanz zurückzuführen, nachdem ich mich länger mit erschütternden Themen befasst hatte dann eine solche quietschbunte Überraschung zu erleben. "Iserhatsche" war der Kosenamen des Erbauers der Villa, den ihm seine Mutter gegeben hatte, und es heißt soviel wie "Eisenherzchen". Was daran cozy sein soll, erschließt sich mir nicht. Aber ich habe wohl vieles nicht verstanden bei diesem Ausflug.

Freitag, 15. November 2019

Die Fruchtfolge des militärisch-industriellen Komplexes

Halbinsel Wustrow, Stadt Rerik, Mecklenburg

 

Heute war ein besonderer Tag. Obwohl ich in keines der alten leerstehenden Häuser rein-gekommen bin (verboten wegen Einsturz-gefahr), nicht auf eigene Faust herumstromern konnte und erstmals für eine lost-place-Führung Eintritt bezahlt habe, war mein Adrenalin nach zwei Stunden restlos aufge-braucht. Was habe ich gesehen?

Die Siedlung steht auf der Halbinsel Wustrow, die zum Ostseebad Rerik gehört. Das liegt zwischen Kühlungsborn und der nächsten Halb-insel Poel. Früher war das alles Landwirtschaft, Weiden und so, und es gab keine Bäume auf der Insel - bis 1876 gab es keine Landverbindung, bis man dann einen Damm baute, damit bei Sturmflut und "Land unter!"  die Menschen sich retten konnten. 1933 kauften die Nazis das Eiland einem verkaufsunwilligen Besitzer mit ausreichendem Druck ab und ließen dort von dem Reformarchitekten Heinrich Tessenow (Assistent: Albert Speer) eine Gartenstadt errichten - für die größte Flakschule des Reiches. Schwimmbad, Kasino, Schule, Postamt - es war alles da, was man für drei- bis viertausend Menschen brauchte. Der Architekt stand einigen Bauhausgrößen nahe und galt als Vertreter des "Neuen Wohnens". Nach dem Krieg übernahmen die sowjetischen Truppen das Gelände und bauten dort einen Horchposten und einfache neue Kasernen, denn die deutschen Bauten wurden zum großen Teil gesprengt. Es blieb die Gartenstadt, in der die Offiziere gelebt hatten. Nach 1989 übernahm der Bund das Gelände, fand aber keinen öffentlichen Nutzer - weder die Stadt noch das Land konnten sich leisten, dort zu investieren. Also ging das Ganze an private Investoren, die jetzt dort Ferienwohnungen und Erstwohnsitze planen. In der Bevölkerung regt sich Widerstand, der nach Aussagen des Investors hauptsächlich in der Bequemlichkeit und Konkurrenzangst der örtlichen Vermieter verwurzelt sei. Die Bürger von "wir für rerik" sehen das etwas anders. 15 Jahre lang geht die Auseinandersetzung um die Nachnutzung nun schon, aber jetzt soll es losgehen - mit den Planungen, Bebauungsplan usw. Bis auf Weiteres ist das Betreten des  Geländes nur im Rahmen der lizensierten Führungen möglich.

Die Atmosphäre der Siedlung setzt sich aus verschiedenen Mosaiksteinen zusammen. Da ist die Architektur: "reine", einfache  Formen, keine Schnörkel, keine Verzierungen, Symmetrie, das alles hat etwas von den Hausformen im Holzbaukasten, wo alles möglichst einfach gehalten ist. Der Architekt Tessenow fasste das so zusammen: "Das Einfache ist nicht immer das Beste, aber das Beste ist immer einfach".  Die Häuser haben gelitten - Wind und Wetter haben ihnen zugesetzt, Herbststürme und mangelnde Pflege, und einfach die Zeit. Sie haben sich eingeigelt, die Lebensfunktionen scheinen fast ausgesetzt, aber da atmet noch etwas. Es gibt Lebewesen, Pflanzen oder niedere Tiere, die Jahre um Jahre wie tot liegen können, und unter bestimmten Bedingungen (oft z.B. Regen) leben sie wieder auf. Das Gelände zwischen den Häusern wurde vom Überwuchern verschont, es soll kein Wald entstehen - das kommt dem optischen Eindruck sehr zugute. Auch wenn der Investor das wohl angeordnet hat, damit nicht wirklich Wald entsteht, der laut Landeswaldgesetz der Öffentlichkeit zugänglich sein müsste, ist diese "Pflege" zu begrüßen. Wieviel Munition und Sprengstoff noch auf der Halbinsel liegt, kann man nicht so genau sagen. Sollte man aber nicht experimentell prüfen.

Es gibt nur noch wenige Einzelheiten zu entdecken - ein Schlitten, ein Blick durch die offene Tür in den Kinosaal der russischen Soldaten (oben links), eine Operationsleuchte im ehemaligen Sowjet-Krankenhaus. Das Haus mit der Nummer 59 war die Psychiatrische Station, im oberen Geschoss waren Fenster vergittert. Die Entwicklung des Geländes wird im Ergebnis hübsche Häuser bringen. Was von der Geschichte, von der militärischen Fruchtfolge bis hin zum künftig geplanten Übernachtungsgewerbe noch erkennbar bleibt, weiß keiner. Vielleicht ist ja die friedliche Gewinnmaximierung weniger schädlich als faschistische oder sowjetische Truppenpräsenz. Vielleicht irgendwie aber auch nicht.

 

 

 

Montag, 28. Oktober 2019

"Iss immer düller / Zwieback von Trüller"

Celle und das Neue Bauen

 

Ich bin in Celle im Allgemeinen Krankenhaus geboren worden. Wenn ich damals aus dem Fenster geschaut hätte, wäre mein neugieriger Blick auf das Wohnhaus gefallen, das sich Otto Haesler unterhalb der Klinik an der Aller gebaut hatte. Der Architekt lebte und  arbeitete von 1906 bis 1934 in Celle und galt vielen als einer der führenden Vertreter des "Neuen Bauens" und war auch als Nachfolger von Gropius an der Bauhaus-Schule im Gespräch. Durch ihn ist Celle mit einer ganzen Reihe architektonischer Perlen gesegnet, ohne dass die Celler das lange wirklich wahrhaben wollten. Allenfalls die frühen,  traditionelleren Bauten Haeslers wie das Wohn- und Geschäftshaus des Keks- und Zwiebackfabrikanten Trüller ließ man gelten (dass der oben zitierte Werbespruch für Trüller-Zwieback vom Haesler-Partner Kurt Schwitters stammen soll, ist nicht belegt) .  Und so habe auch ich das Neue Wohnen in Celle lange übersehen und erst jetzt, im Bauhaus-Jubiläums-Jahr, diese Seite meiner Heimatstadt kennen - und schätzen gelernt. Celle und ich verdanken das nicht zuletzt dem beharrlichen Wirken eines Kunstlehrers und heutigen Ehrenvorsitzenden des Kunstvereins in der Herzogsstadt. Als im Rahmen der Führung durch das Otto-Haesler-Museum sein Name fiel, machte es bei mir Klick: Herr Klatt - so hieß doch mein Kunstlehrer in der fünften und sechsten Klasse im Hölty-Gym,nasium in Celle, bevor wir dann nach Buchholz gezogen sind, und den ich in guter Erinnerung habe. Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass die von Haesler gebaute Direktoren-Villa des ehrwürdigen Gymnasium Ernestinum (in den siebziger Jahren abgestuft zum Jugendzentrum) nicht zugunsten eines Parkhauses abgerissen wurde, sondern sein Architekt Otto Haesler in Celle noch zu (bis dato ungeahnten) Ehren kommen sollte.

Die in der Architektenwelt hochgerühmte Volksschule in der Altstadt (erste Reihe oben) war nach dem Zweiten Weltkrieg vorübergehend Pädagogische Hochschule, und dort hat mein Vater einen Teil seiner Lehrerausbildung erhalten. Brecht, Makarenko und Blockflöte spielen gehörten dazu. Heute ist hier eine Grundschule untergebracht, und das zugehörige Schulleiter-Haus soll wohl mal Bauhaus-Schauhaus werden.

Haesler hat sich aber vor allem einen Namen gemacht mit seinen Wohnprojekten: mal in knalligen Farben (unten, erste Zeile: Italienischer Garten, und ganz oben), mal mit durchdachten Lösungen für kleine, preiswerte Arbeiterwohnungen, und es gibt auch einen "Lungenflügel" - Reihenhäuser mit Sonnenterrassen für lungenkranke Menschen, die dort in ihrem Alltagskontext gesundheitsfördernd leben können und nicht gleich in wohnortferne Heilstätten abgeschoben werden müssen.

Das liebevoll ausgestattete Otto-Haesler-Museum (unten, zweite Zeile) im Waschhaus der Wohnanlage Blumenläger Feld zeigt, wie komfortables modernes Wohnen für kleine Leute in den zwanziger Jahren aussehen konnte. Fernheizung und Toilette in jeder Wohnung, auch wenn diese mit 46 qm für vier Personen nicht üppig bemessen war, neue Stahlskelett-Kontruktionen zur Kostenminimierung, eine Gartenparzelle für jede Mietpartei - das war sozial ganz weit vorn. Schön, dass meine Heimatstadt sich daran jetzt erinnert - und mich auch.

Und für die Atempause zwischendurch hat Haesler auch einen  Raum im Café Kiess am Großen Plan eingerichtet. Schwarz und weiß waren die Ausstattungsfarben, auch in den Küchen im Blumläger Feld, und schwarz-weiß waren auch die Kacheln auf dem Weg zur Toilette des Café Kiess. Wir waren dann zum Schluss aber auch noch mal wieder in der hübschen klassizistischen Villa des Café Müller, wie fast immer, wenn wir in Celle sind, und das Café Müller hat auch eine Dependance im Allgemeinen Krankenhaus Celle, und damit bin ich wieder am Anfang meiner Erinnerung angekommen. Denn geboren bin ich, ich erwähnte es, im Allgemeinen Krankenhaus Celle...

Donnerstag, 17. Oktober 2019

"Jede der Scherben/ spiegelt das Licht"

(Wir sind Helden)

 

Vor zwei Tagen habe ich mit meinem neuen Fotoapparat drei eingeworfene Fensterschei-ben in einer Halle geknipst und auf facebook gepostet (ganz links und erste Zeile links) . Dann ein älteres Bild gefunden, das vor drei Jahren entstanden ist (1. Zeile Mitte) und ganz ähnlich aussieht (obwohl die einen aus der Heide stammen und das andere in Apulien entstanden ist). Und dann hat mich das nicht mehr losgelassen mit den Scherben und drinnen und draußen und jedes Fenster, das zersplittert ist, ist anders und eigen. In manchen spiegelt sich noch was, andere sind stumpf und am Ende, und einmal habe ich mir ein Selfie gegönnt. Eine Sammlung spitzer Konturen. "Mancher kann nicht aus dem Fenster hinausdenken", hat Wilhelm Busch mal geschrieben. Dabei lohnt es sich durchaus, auch wenn der Blick dann doch wieder oft an der Scheibe und ihren ge-splitterten Resten hängenbleibt.

 

Montag, 19.August 2019

So ist die norddeutsche Art?

(NordArt 2019 in Büdelsdorf)

 

Längst ist die NordArt dem norddeutschen Raum entwachsen und präsentiert jedes Jahr auch Künstler aus Tschechien, Usbekistan, China und in diesem Jahr schwerpunktmäßig der Mongolei (und Ägypten, Chile, Iran usw.) Im großen Gelände im Park mit den Skulpturen kennt man vieles, wenn man schön öfter hier war, denn eine ganze Reihe von Werken  bleibt dort stehen und man findet sie im folgenden Jahr wieder - vielleicht etwas anders angeordnet, das Wolfsrudel steht nun im hinteren Winkel und droht dort rum. Die Skulptur des Mongolen Ayurzana Ochirbold ("Der Mensch ist kein Überfluss der Erde", Ausschnitt unten links) stand 2015 in der Maschinenhalle und ist in den letzten Jahren verbannt auf einen Platz am Notausgangstor, ästhetisch geknebelt. Aber eigentlich ist das hier draußen wie immer gut gelungen, und das neue Werk Orchirbolds steht im Mittelpunkt der Wiese und des Interesses (unten erste Zeile mitte und rechts). Der Ausstellungstext zu seinen Skulpturen ist ein schönes Beispiel von Katalog-Lyrik, das eine eigene Art skurriler Unverständlichkeit atmet:  "Die Auswahl des Materials Stahl unterstreicht die nackte ungeschönte Wahrheit, die durch Konsequenzen der Globalisierung zu Tage tritt. Mobilisiert man nicht rechtzeitig das eigene Bewusstsein und distanziert sich vom Mix aus Besessenheit, Macht und Konsum, um eigene Lebenswege im Einklang mit der Natur und der Erde zu entwickeln, verbleibt und rostet man im Lauf der Zeit unbewusst im globalen Labyrinth."  Steht da. Also: Aufgepasst!

Die Publikumspreisträgerin des letzten Jahres, Xiang Jing, ist (wie bei der NordArt üblich) im Jahr nach der Lobpreisung auch wieder vertreten. Dieses Mal mit einer Schlange, der Zähne zwar bedrohlich aussehen, die aber in einem schmeichelnden himbeer-rosa gefällt. Oben mit Durchblick auf den babylonischen Turm eines chinesischen Künstlers (irgendwas Monumentales muss ja jedesmal sein auf der NordArt).

Noch mehr Chinesisches, wie man es sich unterschiedlicher kaum erfinden könnte: Dali Zhang lässt menschliche Figuren kopfüber von der Decke hängen und nennt sein Werk "Chinesischer Nachwuchs", sich auf die Wanderarbeiter-Generationen beziehend. Und als totaler Gegensatz gegen die bestürzende Wirkung der "hanged men" der Spiegelpalast von Deng Guoyuan, in dem es funkelt und prangt, und alles dreht sich und bewegt sich (und der Fotograf versucht ganz vergeblich, sich selbst nicht im Bild selfiemäßig zu spiegeln). Und so wird mit noch weiteren ostasiatischen Künstlern aus diesem kleinen subjektiven Ausschnitt ein chinesisch-mongolisches Bild, und das ist ja auch zu einem guten  Teil sehr nördlich dort.

Dienstag, 23.Juli 2019

Bossard unter der Brücke

 

Der  Maler und Gesamtkünstler Johann Bossard ist hier schon mehrfach aufgetaucht. Jesteburg hat sich Schritt für Schritt auf den Weg gemacht, ihn trotz der Skurrilität und den völkischen Verirrungen zu adoptieren, denn er hat nun mal seinen Kunsttempel in Jesteburg-Wiedenhof gebaut und bemalt. Der neueste Coup: Waldklinik-Chef und Kreistagsabgeordneter Aldag, auch stellvertretender Bürgermeister von Jesteburg und Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion, hat einen Auftrag gegeben. Die Bahnunter-führung sollte eine neue Bemalung kriegen. Und es sollte Bossard sein. Die Wandmalkünstler Cordes und Zimmermann aus Stade erhielten den Auftrag, Fotos einiger Bossard-Werke aus dem drei Kilometer entfernten Kunsttempel auf die Pfeiler der Bahnbrücke am Jesteburger Ortseingang zu übertragen. Das haben sie getan, und nun ist es angerichtet. Zwei Motivbündel aus dem Eddasaal und dem Skulpturengarten zieren die Eisenbahnpfeiler, und es sieht professionell und gut gemacht aus. Was es mit Bossard zu tun hat, ist umstritten. Die moderne, flächige Struktur der Bemalung würde Bossard vermutlich im Grab rotieren lassen. Runen sind nicht zu erkennen, die ganze raunende Bedeutungshuberei der Bossard-Werke bleibt auf der Strecke. Es ist Deko, was man da geboten kriegt, und was  anderes erwartet man ja auf der Straße auch gar nicht. Gebrauchskunst halt. Art to go. Far away, maybe. Aber es gefällt auch dem Wochenblatt. Was nur beweist, dass es wohl nun mit Kunst nicht mehr unbedingt etwas zu tun hat.... oder, um selbst als Schreiber dieser Zeilen mal klar Stellung zu beziehen: Als street-art-Werk ist die Jesteburger Brückenkunst Mittelmaß. Der Jesteburger Kunstpfad sollte da schon ein anderes Format anstreben.

Sonntag, 21. Juli 2019

Von Brücke und Bauhaus

 

Ein Besuch in Oldenburg lohnt nicht nur wegen der Bar Celona und der Gelateria San Marco, sondern wegen der Kunst. Jahr um Jahr habe ich versucht, bei unseren Dangast-Visiten am nahe-gelegenen Jade-Busen das Radziwill-Haus zu besichtigen, aber es war immer geschlossen oder wurde gerade renoviert. Jetzt konnten wir im Oldenburger  Prinzenpalais die größte öffentliche Radziwill-Ausstellung sehen. Der hatte ab 1922 nicht weit vom Kurhaus in Dangast gelebt, sozusagen als Nachmieter der Brücke-Maler Schmidt-Rotluff, Pechstein und Heckel, die dort schon gewirkt hatten. Radziwill bastelte am "magischen Realismus" und pries unter anderem auch "Die Schönheit des Alleinseins". Oben sieht man einen Ausschnitt aus der "Welt ohne Verhältnisse". So richtig muggelig war das in der Regel nicht, was er auf die Leinwand brachte. Aber der "Strand von Dangast mit Flugboot" (unten links) ist immer noch der Renner auf dem Andenkenmarkt des Ortes, der ansonsten im wesentlichen von dem berühmten Rhabarber-Baiser-Blechkuchen im historischen Kurhaus lebt (Dangast ist auch zu sehen in den posts dieses BilderBlog vom 20.2.18 und 25.1.15).

Auslöser für den Oldenburg-Trip war allerdings die Bauhaus-Ausstellung im Augusteum. Ein ganz besonderer kleiner Beitrag zum Bauhaus-Jubiläums-Jahr: An der Biografie von vier Bauhaus-Schülern entlang, die aus Oldenburg stammten, wurden die unterschiedlichen Wege verdeutlicht, die es in der Vielfalt des Bauhauses gab.  Die handwerkliche Grundlage, die sich jeder aneignen musste, spielte da eine Rolle, und ebenso die Affinität zu einem der vielen Tortenstückchen, aus denen sich der Bauhaus-Kuchen zusammensetzte: Malerei, Weben, Töpfern, Holzarbeit, Grafik, Architektur usw. Die Vielschichtigkeit der Befreiung von Bindungen konnte in eine progessive wie auch eine völkische Richtung gehen (einer der vier Protagonisten übernahm höhere Nazi-Posten in der Region). Die Rolle der Frauen war aus heutiger Sicht unerträglich abgewertet - dabei war dxie Weberei der lukrativste Betrieb des Bauhauses in Weimar und Dessau gewesen. Der Pragmatismus in der handwerklichen oder industriellen Umsetzung unterschied sich von der reinen Lehre oft ziemlich stark.

Montag, 24. Juni 2019

Sizilien 2019 - abschließende Fußnote

 

Seit einigen Wochen sind auf der Text-Homepage

https://engelmannsnotizen.jimdo.com/reisen-italien-2019/

meine Erinnerungen und Betrachtungen aus acht Wochen Italien-Reise erschienen. Die einzelnen Kapitel dort:

 

Buona Serra - Die Plastikgewächshäuser an der Südküste / Das Alte und das Neue, Erster Teil: Palermos Paläste / Das Alte und das Neue, Zweiter Teil: Schwefel und Kunst bei Agrigento / La Bettola (Ragusa Ibla) mit Nachtrag: Die Alten und die Jungen / Ihr seid doch auch dabei? Die Zeltplatz-WG / Das Alte und das Neue. Dritter Teil: Henry Miller im Bauernhaus /  Syracusa - wenn man die Wahl hat / Passionen und andere Schauspiele - Trapani, Marsala, Aci Castello

 

Dort kann man dann auch noch mal nachlesen, was mir in den vorangegangenen Jahren auf Italien-Reisen ein- und aufgefallen war:

 

  • In den Gärten der Götter - Gedanken auf der Grand Tour: In sieben Wochen von Cinque Terre nach Apulien und zurück zum Lago d'Iseo (2016).

  • Venedig hin und zurück (Eine Schiffsfahrt zur Kunst-Biennale) / Sebben che siamo donne (Volksmusik in der Basilikata) / Geisterstädte / Zwei Fabriken / Il Lago dei Cigni (Schwanensee in Paestum) (2017)

  • Die Banden von Mantua - Ferien auf dem Bauernhof / Was soll man bloß machen mit dem Alter? / Mühlenerbe und Knochenberg (Solferino) / Brenta: Renaissance und Stillstand /  Treviso: Klein-Mailand-Wettbewerb entschieden (2018)

 

Nachlese aus dem Pool der dreitausend Urlaubs-Fotos: von oben links Palazzo Butaro, Palermo (Kunstgalerie) / Verschrottung eines Fischerbootes in Mazara delle Valle / Korallen-Schmuck in Erice / Riserva Naturale - Naturschutzgebiet Vendicari / Alte Thunfischfabrik in Vendicari / U'locale in Buccheri

 

 

 

Mittwoch, 19. Juni 2019

Sizilien: Die Bilder.

Siebtes Kapitel: Kirchen in Gold oder naturale?

 

Die Highlights sind laut Reiseführer die Kathe-drale in Palermo, der Dom von Monreale, die cappella palatina im Palazzo Ducale von Palermo und noch eine Reihe von Haupt-kirchen. Die sind alle mächtig verziert mit goldenen Mosaiken,  und Gold kommt immer gut. Uns haben diese eher protzig anmutenden Be-weise kirchlicher Ver-schwendung nicht sehr beeindruckt. Da gefielen uns die schlichten, unverzierten Gewölbe und Kirchenräume sehr viel besser. Manchmal waren das keine funktionierenden Gebäude mehr, eher Ruinen - aber zum Teil gut gesichert und vor dem Verfall geschützt, als Denkmal oder Kulturzentrum unter freiem Himmel genutzt. Es macht einen etwas irritierenden Eindruck, wenn allüberall das Gebäude, das gut gepflegt, saniert und repariert ist, die Kirche ist (und drumherum verfällt an vielen Stellen fast alles). Man sieht, wo immer noch ausreichend Geld steckt, um die Immobilien zu putzen. Andrerseits hat die Zivilgesellschaft kaum etwas gefunden, was ortsbildprägend an die Stelle der Kirche treten könnte - also gut, dass diese Mittelpunkte nicht auch noch zerbröseln.

Bild ganz oben: Kirchenruine im Kulturzentrum "Lo Spasimo" in Palermo, genutzt als Konzertsaal (auch Foto li in der 1. Zeile). Daneben (1. und 2.Zeile, Bild li. in der 3. Zeile) sind die Goldkirchen in Palermo (Capella Palatina, Dom von Monreale mit Kreuzgang). Die beiden rechten Bilder 3. Zeile : Chiesa di S. Cataldo, Palermo. Letzte Zeile li: Duomo S. Giorgio, Ragusa / Mitte: S. Nicolo, Catania / re: Reste des Osterschmucks an der Treppe der Basilica di Maria Santissima Annunziata, Comiso.

Am schönsten fanden wir die roten Kuppeln, die aus der nordafrikanischen Architektur übernommen wurden (z.B. S. Giovanni degli Eremiti in Palermo und S. Cataldo). Das sind dann die Kuppeln, die innen so aussehen wie oben zu sehen - in der Regel unverziert.

Sonnabend, 15. Juni 2019

Sizilien: Die Bilder

Sechstes Kapitel: Auf den Straßen der Städte

 

Graffiti findet man überall auf Sizilien. Häufig natür-lich in den großen Städten: Palermo und  Catania Aber auch klei-nere  Orte wie  Caltagirone oder Marina di Ragusa haben überraschende Wandbilder zu bieten. Regelrechte Straßen-galerien fand ich in abge-rockten Quartieren, die sich aus dem Verfall herausarbeiten wollten: Favara bei Agrigento (erste Zeile Bild 2-4) oder der Stadteil Berillo in Catania (Bild oben und unten zweite / dritte Zeile). Einige schöne Beispiele sind auch unter dem Menupunkt  "street" gepostet.

Sonnabend, 15. Juni 2019

Sizilien: Die Bilder

Fünftes Kapitel: Die toten Häuser

 

Am Ätna stehen Häuser bis weit oben: Bauernhäuser, Villen, Ferienhäuser. Die Menschen respektieren den Vulkan, aber sie lieben ihre Heimat. „Der Ätna gibt uns viel und nimmt uns auch gelegentlich etwas.“ Es hat nicht immer geklappt mit der friedlichen Koexistenz. So mancher Schutzheilige hat seine Funktion eingebüßt, weil eine Siedlung oder ein Haus von der Lava überrollt wurde. Menschen kommen in der Regel nicht mehr zu Schaden weil Frühwarnsysteme rechtzeitig das Verlassen gefährdeter Areale ermöglichen. Aber die Lava kann keiner aufhalten. Sie fließt schnell und lässt sich durch Mauern  oder andere Schutzsysteme nicht stören. Ein paar zerstörte Häuser stehen mitten im zerstörerischen Lava-Feld und geben Zeugnis von der Tragödie. Sie sind beliebte Touristenziele. Wir haben uns auch auf die Suche begeben... Die Sprayer waren schon lange vor uns da gewesen.  Der Graffiti-Begriff "illustre feccia" (unten Mitte)  heißt soviel wie herausragender Abschaum. Was uns der Sprayer damit sagen wollte, blieb verborgen.

12. Juni 2019

Sizilien: Die Bilder. Viertes Kapitel

Bei den Zyklopen von Siracusa

 

Nachdem wir in Siracusa das Postamt gefunden hatten, an das die Briefwahlunterlagen für unsere Stimmabgabe zur Europa-wahl geschickt worden waren (und unsere Häkchen gemacht hatten), sind wir noch ein wenig ziellos durch Siracusas Altstadt-Halbinsel Ortigia gebummelt. Das Castello Maniace, das auf Friedrich II. zurückgeht (der hier ja überall herum-geistert), war leider schon geschlossen. Der Papyrusteich und der Diana-Brunnen waren sehenswert. Aber in Erinnerung bleibt uns Siracusa durch eine Ausstellung, auf die Linda zufällig beim Erkunden eines Innenhofes stieß. Sie hieß "Ciclopica - From Rodin to Giacometti" und der Innenhof gehört zum Kloster San Francesco. Dort wurden 100 Skulpturen ausgestellt, die aus den letzten hundert Jahren stammen (so ungefähr jedenfalls, Rodins "Die Bürger von Calais" wurde 1885 enthüllt, eine Figur aus diesem Zyklus war hier jetzt zu sehen). Uns haben weniger die Werke der bekannten Meister beeindruckt (Henry Moore, Marino Marini, Salvadore Dali, Jeff Coons und eben Rodin und Giacometti) sondern vor allem die Gruppe von Skulpturen im Hof und einige Werke im Innenraum, die durch quietschbunte Farben und freche oder über-raschende Kontraste auffielen. Im Innenhof waren es an Lego-Ästhetik erinnernde Figuren von Sebastiàn, einem mexi-kanischen  Bildhauer, der sonst eher Objekte in die (Stadt-)Landschaft stellt, die so groß sind wie die Häuser drumherum (oder größer). Hier waren sie nur zwei, drei Meter groß, und jedes für sich betrachtet wäre uns womöglich wenig aufgefallen. Aber in dem barocken Innenhof und in Kombi-nation mit einigen anderen Werken ergab sich ein Gesamt-eindruck, der uns eine Gänsehaut bescherte und das wohlige Gefühl, hier eine in sich stimmige Kunst-Situation zu erleben, wie sie nur durch die gelungene Kombination von Kunst und Kontext entstehen kann. Da konnten weder Rodin noch Giacometti mithalten, deren Skulpturen im Innen-Nebenraum nur so vor sich hin standen und ihren Namen vor sich her trugen. "Ciclopica", der Name der Ausstellung, spielt wohl auf die wenige Kilometer weiter nördlich liegende "Zyklopenküste" an, wo der Legende nach Polyphem, der Ober-Zyklop, gelebt und gewütet hatte. Seine dem geflohenen Odysseus nachgeworfenen Felsbrocken (s.u.), die heute noch als Zyklopeninseln vor Aci Trezza liegen, wirken teilweise wie bearbeitet, vom Bildhauer geschaffen. Aber das ist nur eine eigene Assoziation, ob die Macher der Ausstellung das so vor Augen hatten, weiß ich nicht. Zunächst zum Innenhof:

Das mittlere Bild in der mitleren Zeile ist eine Statue von Rabarama ("Transporto"). Könnte um Seelenwanderung oder so gehen. Als wir die Skulptur entdeckten, erkannten wir sofort, dass wir von derselben Künstlerin schon mal was gesehen hatten. Das war in Reggio di Calabria, vor zwei Jahren. Und der Anlass war sehr ähnlich: Wir hatten gerade unsere Briefwahl erledigt, damals war es die Bundestagswahl. Und beim Bummel nach der Stimmabgabe über den Lungomare von Reggio ("Schönster Kilometer Italiens", sagte Mussolinis Stichwortgeber Gabriele d'Annunzio dazu) entdeckten wir zum ersten Mal Statuen von Rabarama. Mal sehen, was uns Rabarama nach der nächsten Briefwahl in einem fernen Urlaub besch´ert..

Unten geht's im Innenraum weiter. Dort gab es ein eng gestelltes Wirrwarr von Figuren und Intallationen, in dem sich vielfältige Sichtachsen ergaben, die die einzelnen Werke verknüpften oder gegeneinander antreten ließen. Einzelne Stücke schmiegten sich auch in die barocke Raumarchitektur ein.

Zum Abschluss zwei Skulpturen aus der Werkstatt der Zyklopen. Links ein Werk des Ätna, an dessen Flanken die erstarrte Lava bizarre Figuren baut, und rechts einer der Zyklopenfelsen vor Aci Trezza - beliebte Kulisse für sizilianische Hochzeitsfotos.

 

 

 

 

10.6.2019

Drittes Kapitel

Seitensprung (Matera)

 

Das dritte Kapitel spielt gar nicht auf Sizilien, sondern in der Basilikata. Matera ist dieses Jahr europäische Kulturhauptstadt. Des-wegen waren wir nach 2016 zum zweiten Mal dort. Über die Kultur dort in diesem Jahr wäre auch mit Gewinn zu berichten. Aber im Voirdergrund stand dieses Mal wieder sie Stadt. Sie spielt eindeutig die Hauptrolle. Die Sassi (Höhlenwohnungen) im Altstadtviertel haben zur Schlucht hin Vorbauten, die aus dem Tuffstein gebaut sind, der aus den Höhlen herausgehauen wurde. Das Grau ist von einer bitteren Schönheit, die ihres-gleichen sucht. Farbkleckse in Pastelltönen schmiegen sich ein. Dieses Jahr waren wir auch auf der anderern Seite der Schlucht, und als es Abend wurde, legte sich ein neuer Zauber über die Altstadt. Mehr ist zu Matera an dieser Stelle nicht zu sagen - die Stadt spricht ihre eigene Sprache, archaisch, mythisch, und lässt sich die Touristen großzügig gefallen. (Bilder von unserem ersten Matera-Besuch 2016 in diesem Bilder Blog unter dem Datum 25.7.2016)

5. Juni 2019

Sizilien - Die Bilder

Zweites Kapitel:  Friedhof am Ätna

 

Italienische Friedhöfe liegen gern etwas abseits. Der cimetero von Linguaglossa hat Blick auf den Ätna, der zieht aber heute wieder mal seine Wolkenmütze an und döst vor sich hin, ab und zu eine kleine Rauchwolke ausstoßend, von der man aber hier so gut wie nichts sehen kann. Man erkennt nur ein paar Schneereste ab einer Höhe von zweitausend Meter.

Der Friedhof verrät, dass die Gegend schon früher wohlhabend war. Vielleicht nicht reich, aber es ging den Wein- und Olivenbauern in der fruchtbaren Ätna-Region gut. Linguaglossa soll seinen Namen daher haben, dass die Lava bisher den Ort nie erreicht hat - sie schob sich nur zungenförmig (lingua heißt Zunge) bis kurz vor das Dorf und erstarrte dann. Auf dem Friedhof gibt es eine ungewöhnlich große Anzahl von Gruften, die die Größe von Einfamilienhäusern haben und deren Grundfläche die Wohnfläche vieler Familien im Städtchen überschreiten dürfte. Es gibt welche in Form einer Kathedrale, oder als Würfel wie im alten Rom - oder in faschistischer Kubus-Architektur mit völkischen Statuen.

Auf den Grabsteinen sind kleine Porträtfotos auf Porzellan, und die Trauer der Hinterbliebenen wird wortreich geschildert. Oft steht nicht nur, wie alt der Verstorbene geworden ist, sondern auch, wie lange er gelitten hat: "VISSE 14 ANNI, PENA 23 GIORNI" (14 Jahre gelebt, 23 Tage gelitten) steht auf einem Grabstein mit dem großen Bild eines hübschen Teenagers, das den Besucher seit fast einhundert Jahren ziemlich traurig ansieht. Und das Foto von Antonia Ferrara und Carmelo Vecchio, die wohl um 1890 geheiratet haben, stammt sichtbar aus den frühen Zeiten der Fotografie ("Jetzt bitte nicht mehr bewegen!"). Durch die langen Ruhezeiten auf diesen Friedhöfen sind sie so etwas wie eine kleine Kulturgeschichte. Und diese endet heute im Plastikzeitalter, auch auf dem Friedhof.

Als ich zwei Tage später auf dem Weg nach Mascalucia (offenen Wein bei Armando Distefano kaufen) einen kleinen Bummel durch Gravina  mache, einen vierhundert Meter über Catania an den Hängen des Ätna liegenden Vorort, komme ich an einer Steinmetz-Werkstatt vorbei. Der Maestro läd mich ein, mir seine Werke kurz anzusehen. Durch meine nachträgliche Recherche weiß ich jetzt, dass er Vito Guardo heißt und 1965 in Catania geboren wurde. Ich sehe (und knipse, wie man oben in der letzten Zeile sehen kann) einen liegenden Akt, einen Engel, und, gerade in Arbeit, die Stadtheilige von Catania, S.Agatha. Ich fragte ich ihn, ob er für Kirchen arbeite. Nein, sagte er, hauptsächlich für Friedhöfe. Liegender Akt auf Friedhof? Wohl doch eher nicht. Er scheint gut zu tun zu haben.

 

 

 

4. Juni 2019

Sizilien - Die Bilder

Erstes Kapitel: Nach dem Erdbeben

 

Am 15. Januar 1968 bebte die Erde in Sizilien, wieder einmal. Dieses Beben hörte aber nicht wieder auf. Als es dann nach drei Tagen doch zuende ging, waren im Belice-Tal zehn Dörfer völlig zerstört. Viele hundert Menschen hatten ihr Leben verloren, Zehntausende ihre Häuser.  Danach ging es an den Wiederaufbau, mit unterschiedlichen Strategien. Vielfach wurden möglichst schnell möglichst effektiv neue Wohnblocks gebaut, was nützlich, aber hässlich war. Zum Teil wurden die Dörfer verlegt und ganz neu errichtet, was auch Chancen bot - Gibellina sollte so ein Vorzeigeprojekt werden, mit viel Kunst und Raum und breiten Straßen. Die alten Wohnorte wurden entzweder einfach dem endgültigen Verfall überlassen, wie das Dorf Poggioreale. Andere wurden selbst zum Kunstobjekt. Gibellina Vecchia, das alte, zerstörte Dorf, wurde mit einer zwei Meter dicken Betonschicht zugedeckt, einem modernen Leichentuch, nur den Verläufen der Dorfstraßen konnte man nachgehen, sie blieben als zwei Meter tiefe und ebenso breite Gänge in dem Betonsarg zugänglich. Ein beeindruckendes Mahnmal, das eine beklemmende Atmosphäre verbreitet in dem hügeligen, grünen Landstrich.

Der Künstler Alberto Burri fand damit in den siebziger Jahren eine überzeugende Antwort auf die Frage, wie man mit dem Erbe des Bebens umgehen kann. An der Verschönerung des neuen Gibellina Nuovo woillte er sich nicht beteiligen. Dort stehen im Stadtbild eher unmotiviert große Skulpturen, deren Wirkung fünfzig Jahre nach dem Beben beliebig geworden ist. Durch breite Straßenschluchten fegt der Wind, große Betonbauten sind nicht fertig geworden und stehen als Baustelle herum. Eher gespenstisch als innovativ.

Eine andere Entscheidung traf man in Poggioreale, wo das neue Dorf ebenfalls an anderem Ort errichtet wurde. Das alte ließ man aber stehen und es ist bis heute ein Zeitzeuge, der durch die Verwitterung und den Verfall beeindruckt. An manchen Stellen weht der fast romantische Hauch einer verlassenen Westernstadt durch die Gassen, was eher unpassend scheint, aber das Wechselspiel von Faszination und Erschrecken ist hier (zerbröselnder) Stein geworden. Man erkennt noch die Räume der alten Post an den naiven Wandmalerein mit Motiven aus Telegrafie und Postversand,  an einer Trattoria  hängt noch die Befestigung des Schildes, auf dem wohl der Name stand, und ein großer Steinofen drinnen könnte für die Herstellung  von Brot oder Pizza benutzt worden sein. Der Dorfbrunnen, an dem sicher auch Wäsche gewaschen wurde, ist noch in Betrieb - das Wasser rinnt noch. Und überall blüht es, rot und gelb und violett, was ein trügerisches Friedensangebot der Natur sein dürfte. Es bebt immer noch mal wieder.

Dienstag, 19.März 2019

In Rixdorf ist Musike...

 

Vor 56 Jahren wurde in Berlin die Werkstatt Rixdorfer Drucke gegründet. Vier Künstler gestalteten zunächst  in einem Berliner Hinterhof, später dann im Wendland und zum Teil Hamburg und wieder Berlin Buchdrucke, Grafiken, Plakate, Bildermappen und alles, was mit Typografie und Literatur zu tun hatte. Um die Gruppe rankt sich eine ganze Reihe Geschichten und Anekdoten, und das Oeuvre ist mittlerweile schon etwas unübersichtlich geworden. Eine Auswahl ist zur Zeit im Buchholzer Kunstverein zu sehen, die ohne Vorbehalte und Umschweife empfohlen werden kann. Ausgestellt sind ältere Werke (wie der nebenstehende Bilderbogen von 1965) und neuere Serien wie "Spiel, Satz und Druck", die 2018 vorgestellt wurde (dazu unten mehr). Dazwischen gibt es einige Drucke zu Störtebecker und den Liekedeelers nach Texten von Peter Rühmkorf  oder zum 150. Jahrestag der Revolution von 1848 nach Georg Herwegh und anderen.

 

Zur Vernissage in Buchholz war einer der vier Gründungsväter der Rixdorfer Werkstatt gekommen: Albert Schindehütte. Von ihm stammt das geflügelte Wort, die Gründung der Rixdorfer sei "Liebe auf den ersten Schluck" gewesen. Dieser soll dem Vernehmen nach aber nicht der letzte gewesen sein.  Schindehütte lebt haupt-sächlich in Hamburg, und seine Nachbar-schaft zu Peter Rühmkorf dürfte Auslöser für einige Kooperationen zwischen Rixdorf und Övelgönne gewesen sein. Außerdem hat er seine Herkunft ausa dem Hessischen zum Anlass genommen, sich mit den Gebrüdern Grimm zu beschäftigen. Das ist kein Märchen.

Oben: Der Künstler erläutert sein Werk. Er kann aber auch zuhören.

Unten: Und Inspirationen von anderen aufnehmen: In der Serie "Spiel, Satz und Druck" wurden Dichter*innen aufgefordert, aus einer festgelegten Menge von Lettern einen Satz zu bilden, aus den übrig gebliebenen Buchstaben machten die Drucker eine Figur und fügten sie dem Schriftbild hinzu. So kamen verrätselte, dadaistische und lyrische Textbilder zustande, die sich ins Gedächtnis  einbrennen. Jedes hat das Zeug zum Klassiker.

Natürlich ist alles unter Glas. Und natürlich spiegelt sich da was und gibt den Durchblick frei oder auch nicht, aber was solls - um es mit Peter Rühmkorf auf einem der Störtebecker-Srucke zu sagen: "eh dass wir uns lassen liekedeelen / tun wir doch Ernst Thälmann wählen - / und wir bleiben ehrliche sailors". Und Herwegh macht ein Lied dabei, dass die Feier würdig sei. Ein Hoch auf die Rixdorfer.

In Rixdorf ist Musike / da tanzen Franz und Rieke / die letzte Polka vor...

Dienstag, 19. Februar 2019

Die Bossard-Schau

Johann Bossard ist der Künstler, der in Jesteburg-Lüllau die Kunststätte aufgebaut hat und dort einen Tempel errichtete, ihn mit Gemälden schmückte und mit seiner Frau zusammen alles ausmalte, das eigene Geschirr anfertigte und den Garten konzipierte. Ein Gesamtkunstwerk eben. Dafür war bis dato Wagner zuständig gewesen, und nun versuchte Bossard ihn zu toppen und seine gewöhnungsbedürftige Mythologie aus Edda, Nibelungen und Sozialromantik zu illustrieren (s. auch die Einträge vom 7.11.2012, 20.8.2015, 5.12.2018 und 21.1.2019 in diesem Blog). Ich versuche herauszufinden, was daran faszinierend sein kann - und was ungenießbar ist. Neuestes Kapitel: Führung durch das Schau-Archiv in einer ehemaligen Jesteburger Schule, in dem hunderte von Bossard-Werken gelagert und archiviert sind. Die älteren Arbeiten vom Beginn des 20. Jahrhunderts sind noch deutlich jugendstilisiert, die späteren eher expressionistisch, in den letzten Bildern zeigen sich schon fast abstrakte Tendenzen. Aber alles bleibt dem Mythos verpflichtet.

Dem Mythos verpflichtet - das sieht vor allem heldisch aus, Helden der Geschichte, Helden der Arbeit, Kriegshelden. Männer bleiben bei Bossard in aller Regel nackt, Frauen hüllt ab und an ein Kleid oder ein Umhang. Die Frau hält das Kind, der Mann den Hammer oder den Speer. Okay, es geht um Archetypen und nicht um Alltagsschnappschüsse. Aber was soll uns das sagen? Alles ist schicksalsschwer, verrätselt, idealisiert. Ich bleibe unentschlossen, allerdings bin ich nicht mehr so empört wie zuvor. Weitere Erkundungen werden folgen.

Unten sind Teile der wandfüllenden Bebilderung zu sehen, die sich mit anderen Motiven in der Halle des Kampfes usw. im Kunsttempel finden. Der Ausschnitt oben rechts zeigt den veränderten "moderneren" Stil in den vierziger Jahren. Die Bronze in der letzten Reihe ist ein Werk von Jutta Bossard.

Dienstag, 5. Februar 2019

Hetaera esmeralda

 

Kunst soll für sich selbst sprechen, sagt der Künstler. Aber zur Eröffnung sprechen dann doch ein studierter Kunsthistoriker und ein ebenso studierter weiterer Künstler, und das ist dann doch auch immer aufschlussreich. Die Objekte von Jörg Koch, Jahrgang 1963, sind vielfach in Metallkästen eingeschraubt, hinter Plexiglas und LED-farbig beleuchtet (also in wechselnden Farben). Eines im Entree bleibt unkommentiert, das oben zu sehen ist: "Hetera Esmeralda" aus dem Jahr 1988, ein Frühwerk sozusagen. Koch selbst beschreibt es auf seiner Homepage so: "Rot durchsichtiger Schmetterling, schichtweise aufgebaut in Gießharz, eingebettet in einer Form, ehemals benutzt für das Pressen hochfeuerfester Steine, violett lackiert." Ich hab hingehört, aber das Kunstwerk verriet mir keine Lösungsworte, ich musste selbst assoziieren. Hetera esmeralda ist natürlich ein Verweis auf Thomas Mann, in desen "Doktor Faustus" eine Hetäre namens Esmeralda eine bedeutungsschwangere, aber vergiftete Rolle spielt. Die Vokale des Namens (H-e-a-e-es) treten in Kompositionen sowohl von Adrian Leverkühn in Manns Roman als auch später in anderen echt klingenden Musikstücken auf.  In der Wirklichkeit gibt es tatrsächlich Schmetterlinge, die Hetära genannt werden - aber nicht Esmeralda, und eigentlich auch auf wissenschaftlich eher Citheria pireta. Sie sind glasklar mit farbigen Einsprengseln. Wie die Thomas-Mann-Connection sich weiter ausbuchstabiert, verliert sich schnell in den subjektiven Sphären der Buch-Kunst. Der Rahmen des Objekts ist eine Presse für hochfeste Steine, sagt Jörg Koch. Das ist eigentlich das Gegenteil der nymphenhaften Figur in Manns Roman, aber man kann Häuser draus bauen. Auch das hat mich nicht wirklich weitergebracht. Was bleibt, ist der Eindruck: Booaaah ey, Klasse. Allerdings ist mir das Pressen von Schmetterlingen immer suspekt gewesen. Aber das ist nicht signifikant, ich stehe auch Tierpräparatoren skeptisch gegenüber und der Ausstellung "Körperwelten" und der dort ptäsentierten Technik der Plastination menschlicher oder anderer Körper. So geht es mir halt damit.  Aber jetzt driften meine Assoziationen doch langsam aber sicher aus dem öffentlichen Raum und ich bremse ab, die Ausstellung ist aber sehr empfehlenswert und noch bis 3.3.2019 im Buchholzer Kunstverein zu sehen (Mo-Fr 16-18 Uhr, Sa/So 11-17).

Manchmal spricht das Kunstwerk ja aber auch direkter. Unten, in grün, ein Ausschnitt aus dem Werk "Saw Gear Interlock" (2003, 3. Zeile). Da steht auf einem Display aus einem medizinischen Gerät (einem Defibrillator, glaube ich) "Inspirationsflow". Das ist zumindest im Kunstzusammenhang ein beherzter Begriff, den man sich merken sollte. Jörg Koch (glaube ich) wusste, was das Kunstwerk ihm damit sagt.

Mittwoch, 30. Januar 2019

Tierfreunde, traurig

 

Der Friedhof für Hunde und andere Haustiere zwischen Harmstorf und Klecken besteht seit ungefähr dreißig Jahren. In der letzten Zeit sind kaum noch neue Grabstätten hinzugekommen. Benny, Purzel und alle die Anderen liegen mittlerweile unter einer dicken Laubschicht, weil der Friedhofs-verantwortliche seit fast zwei Jahren ausgefallen ist. Einige Gräber sind vor krzem mit frischem Tannengrün geschmückt worden, die meisten verlieren sich im Braun der Blätter und unter dem Moos der Zeit.

Montag, 21. Januar 2019

Bossard in Hamburg

 

Die Kunststätte Bossard im Wald bei Lüllau war hier schon das eine oder andere Mal Thema. Heute war ich in Hamburg und habe mich umgesehen, was der Bildhauer dort geschaffen hat. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hat er Skulpturen für verschiedene öffentliche Bauten angefertigt: am Völkerkundemuseum, dem Tropeninsti-tut, dem U-Bahnhof Kellinghusenstraße, an der Hamburger Börse und der Kunsthochschule HfbK. Ich war an den ersten drei Orten, ehe mich die Schneeschauer vertrieben. Es war Sonne angesagt.

 

Die Wirkung der Kunststätte und der Hamburger Plastiken ist unterschiedlich, fand ich. In der Heide ist das angestrebte Gesamtkunstwerk zu erahnen, es erzeugt eine bestimmte Stimmung, die nicht jedem behagt. In Hamburg sind die Halbreliefs und Figuren Teil des Stadtlebens, Leute eilen vorbei, Verkehrsschilder und Reklame kommen mit in den Blick, und man hat diese Figuren alle schon mal im Augenwinkel gesehen, ohne sie zu betrachten, sie gehören dazu. Am stärksten in die Öffentlichkeit gedrungen ist der Streit um den Kriegsklotz am Dammtor ("Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen") des Bildhauers Richard Kuöhl, eines Schumacher-Schülers. Da steht auch  "Großtaten der Vergangen-heit sind Brückenpfeiler der Zukunft" auf einer Tafel. Das war Nazi-Kunst. So martialisch kommen die Bossard-Skulpturen nicht daher. Sie haben schon eine große Pose, manchmal erinnert mich das an monumentale Stein-Figuren aus dem "Herrn der Ringe", die Sachen sind eben über hundert Jahre alt. Hier kann ich diese Sichtweise respektieren, auch wenn mir die großartige, edle und oft irgendwie nibelungenhafte Attitüde nicht gefällt. Am früheren Völkerkundemuseum (heute "Museum am Rothenbaum - Kulturen und Künste der Welt" MARKK) stehen Bossards Löwen, neben einem balinesischen Tempelchen, ein bisschen Reibung ist da schon.

An der Kellinghusenstraße flankieren die beiden Reliefs den Eingang von der Seite des Holthusenbades. Neben dem Ausgang zur anderen Seite ist eine Skater-Bahn. Und ein paist-up-Mädchen fragt ihren kleinen Freund: "Sie entfernen uns, oder?", und er antwortet: "Nichts hält ewig!". Aber Bossards Steinreliefs halten nun immerhin schon einhundertzwanzig Jahre... davon können heutige Street-Artisten nur träumen...

Am Tropeninstitut in der Bernhard-Nocht-Straße gibt es nur ziemlich hoch oben ein paar kleine Figuren in Relief-Form, an einer Seite auch noch durch ein Netz verhüllt, damit keine herabfallenden Brocken die Passanten verletzen, wenn sie zum Impfen gehen.  Zu dieser Brot-Kunst hatte Bossard irgendwie wohl keine Lust mehr, er war von seinem Kunsttempel erfüllt, und hier hat er sich verwirklicht. Und die Wirkung ist anders, wenn auch viele Form-Merkmale wieder auftauchen und das Nibelungenhafte unter Einbeziehung der Edda und weiterer Mythen hier in Lüllau nur deutlich stärker wird, aber nicht neu ist. Bossard wird mich weiter beschäftigen. Wie meine neueren Impressionen aus der vorigen Woche (untere Zeilen) zeigen...

Mittwoch, 16. Januar 2019

Skulpturissimo

 

Eine grandiose Ausstellungsidee und ein großartiges Ambiente treffen sich in den Deichtorhallen (leider nur noch bis 20.1., dann ist die Ausstellung mit Skulpturen aus der Stuttgarter Staatsgalerie zuende). Skulpturen aus verschiedenen Epochen werden zueinander und zu Alltagsgegenständen in Verbindung gesetzt. Eine goldene Skulptur auf dem Sitz eines Porsche, Picassos "Badende" aus Haushalts- und Werkstattutensilien von OBI, manches ist ein wenig überkandidelt, vieles genial oder zumindest überaus anregend. Der Porsche wirkt nicht nur wegen der Bronze, die da leuchtet, sondern auch weil es ein schwarzer Porsche ist und in den Deichtorhallen hunderte von Strahlern an die Decke  gehängt sind. Spiegeln sich natürlich alle. Und im Rückspiegel sieht man - Skulpturen.

Besonders spannend fand ich auch die Reihungen von Werken aus unterschiedlichen Epochen, auf unterschiedlichen Podesten, aber doch gereiht, so einen Bogen durch Zeit und Raum schlagend. Hier die Reihe mit Werken exilierter oder verfolgter Künstler - vom Dadaisten Hans Arp (2. Zeile. 2. v.r.) über den ursprünglich in Frankreich arbeitenden und in Majdanek ermordeten jüdischen Bildhauer Otto Freundlich (2. Zeile, 2. v.l.) bis zum wegen mehrerer Verhaftungen aufgrund Protestes gegen den Vietnam-Krieg aus den USA geflohenen Mark di Suvero (1. Zeile rechts).

Es gibt Henry Moore, Calder, Barlach, Richard Serra und Richard Long, und ein Werk von Mario Merz (unten Mitte) korrespondiert mit den Neon-Schriftzügen, die mir schon 2012 bei den Horizon Fields von Antony Gormley in den Deichtorhallen aufgefallen war, das hing schon damals und ist auch ein Werk von Merz und bedeutet so sinngemäß "Wenn die Form verschwindet, wird ihr Ursprung ewig" ( unten rechts). Wem das nicht bedeutungsschwanger-kryptisch genug ist, dem ist nicht zu helfen. Im Gegensatz zu den früheren Jahren ist die Neonschrift jetzt vor dem nach Sanierung verkleideten Giebelfenster gut zu sehen. Neue Blickwinkel und Sichtachsen allenthalben.

Die Reihe von Fotos wie eine alte Schriftenreihe (Keilschrift?), die sich auf mehrern Bildern im Hintergrund auf Blickhöhe an der Wand entlangzieht, besteht aus Fotos der einzelnen Basaltsteine, die Richard Serra in seinem Steinkreis verwendet hat (erste Reihe rechts). Und in der letzten Zeile wieder so ein ungewolltes Fotografen-Selfie: wo sich die Deckenleuchten spiegeln, spiegelt sich eben auch der Knipser... aber nur schemenhaft. Macht ja nix.