Was bisher geschah:
2.2.2024: Elfriede und die Psychiatrie in Friedrichsberg (Hamburg)
4.2.24: Elfriede in der Osterstraße (Hamburg-Eimsbüttel)
5.2.24: Elfriede in der Fruchtallee (Hamburg-Eimsbüttel)
6.2.24: Elfriede im Rodenhof (Hamburg Altona)
10.2.24: Elfriede und der Hafen (Hamburg)
11.3.24: Neu im Schaufenster: 150 Jahre Eisenbahn in Buchholz (ebd.)
19.3.24: Harz / nice! / schwarz / weiß! (div.)
20.3.24: Freie Feldlage Harzgerode (Harz)
21.3.24: Die Kunst des Verfalls (Harz)
22.3.24: Harzhäuser (Harz)
14.4.24: Exkursion I : Wald im Wandel (Wörme bei Buchholz)
20.6.24: Graffitigalerie Wien Donaukanal (Wien)
21.6.24: ... denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang (Am Steinhof, Wien)
10.7.24: Vienna streets (Wien)
11.7.24: Museum Gugging (Maria Gugging bei Klosterneuburg, Wien)
12.7.24: Die Baumreptiloide vom Großen Arbersee (Bayerischer Wald)
21.8.24: Die Esel vom Neusiedler See (Burgenland, Österreich)
3.9.24: Idyll ohne Brieftauben (Nordheide)
28.9.24: Der Herbst malt seine eigenen Bilder (Jesteburg)
15.12.24: Nachlese (div. Orte)
30.12.24: Licht im Dunkel (entlang der Donau)
5.1.25: Ich denke oft an Piroschka (Puszta, Ungarn)
6.1.25: Bilderreise Donau 2024
Montag, 6.1.2025
Bilderreise
(Donaureise 2024 III)
Sieben Städte in acht Tagen, das lässt sich nicht im sparsamen Rahmen bebildern, ohne dass Zusammenhänge verloren gehen oder der Kontext verschwimmt. Ich greife zum
entgegengesetzten Vorhaben: Hier präsentiere ich nur einzelne Bilder, die mir auffielen - und die nicht weiter kontextualisiert werden. Außer vielleicht mit kargen Ortsangaben. Bild links:
staunender Blick auf den Heldenplatz in Budapest (links), und dann in der nächsten Zeile ein staunender Blick auf eine Donauschleuse von innen, eine Spiegelung des Wiener Stephansdoms, eine
Verladestation am Donauufer. Zweite Zeile: Basilika von Esztergom, Markthalle Budapest, Parlament von Budapest. Dritte Zeile: Strandbar im Winterschlaf (2x Bratislava), Graffiti in Linz. Letzte
Zeile: Leerstand in Linz, und abschließend zweimal Passau.
Sonntag, 5. Januar 2025
Ich denke oft an Piroschka (Donaureise 2024 II)
"...wenn ich heute an Piroschka denke, ist sie immer jung und süß und 17 Jahre ..." - so enden Buch und Film mit diesem Titel. Lilo Pulver hat das deutsche
Ungarn-Bild der Nachkriegsjahre maßgeblich mitgeprägt. Wenn ich heute an Victor denke...Nun ja, wir waren nur ein paar Stunden in der Puszta, und Piroschka war nicht da. Vom Film aus gerechnet
müsste sie heute wohl 86 Jahre alt sein. Wir haben in Tanyacsarda die Puszta gesehen, wie sie für Touristen zubereitet wird, mit knallenden Peitschen und Lipizzanern und ungarischen
Steppenrindern. Ein weißer Hirtenhund lief auch rum, Puli heißt die Art, glaube ich, und er war wohl vor nicht allzu langer Zeit geschoren worden, wer weiß warum. Vielleicht war es auch gar
keiner, aber niedlich war er, und das war in dem Kontext die Hauptsache. Piroschka jedenfalls blieb aus, und wir nahmen stattdessen am Verkaufsthresen eine Tube Paprikamark. Liebe geht durch den
Magen.
Montag,
30. Dezember 2024
Licht im Dunkel (Donaureise I)
Unsere einwöchige Flussfahrt auf der Donau präsentierte uns Altstädte und Weihnachts-märkte im winterlichen Dunkel, meist aufwändig geschmückt mit
Weihnachtsbeleuchtung oder mit den ebenso schönen alltäglichen Straßenlaternen, so dass uns die Dämmerung nicht schreckte und die Bilder bis heute den Duft von Glühwein und Schmalz-gebackenem
ausströmen. Un-ser Schiff lag direkt neben der alten Brücke in Budapest (Bild oben), und es war nicht weit bis zu den Weihnachtsmärkten der Innenstadt. In der Erinnerung verschwimmen jetzt schon
die Bilder der Märkte von Passau, Wien, Budapest, Bratislava... Auf der letzten Station war in Linz der Weihnachtsmarkt dann schon geschlossen, es war schon der 25. Dezember, Erster
Weihnachtstag, und irgendwann muss ja mal Schluss sein (Bild unten rechts).
Sonntag, 15. Dezember 2024
Nachlese
Als ich für eine Grußkarte meine Fotos des Jahres 2024 durchscrollte, fielen mir ein paar Motive ins Auge, die mir gefallen haben - aber die in keine
Ausstellung oder Ver-öffentlichung Eingang fin-den werden. Sie einfach links liegen zu lassen fand ich schade. Also kommen sie jetzt hier in einer Art bebilderter Rückschau zu ihrem Recht.
Die Seifen-blase macht den Anfang (Linda hat die Lauge selbst angerührt - funktionierte hervorragend!), und dann folgen in bunter Reihen-folge Farn-Blätter in der Wachstumsphase und andere kleine
Blicke in unseren Garten ein-schließlich der Skulptur von Jan Amelung, ein paar Impressionen von verschiedenen Reisen, und was sonst so im letzten Jahr meinen Weg kreuzte. Das Jahr war prall,
schön und schrecklich, und wir hoffen alle auf ein freundliches 2025. Bis dann...
Sonnabend, 28. September 2024
Der Herbst malt seine eigenen Bilder
Hier war früher eine Baumschule. Nicht irgendeine, sondern eine Bio-Schule. Der Betrieb ist umgezogen, die Blau-glockenbäume und die Reihen heimischer Gehölze
wachsen weiter, ohne Beschrän-kungen und ergänzt durch Brombeeren, Topinambur und mit einzelnen alten Apfelsorten da-zwischen. Und ganz oben eine Menge abgenagter Tannenzapfen. Irgendwie wild,
und irgendwie doch auch kultiviert. Eine wunderbare Mischung, die in der Herbstsonne ihren ganzen Charme entfaltet. Wenn sich dann noch ein Regenbogen einmischt und ausreichend Ruhe es möglich
macht, verschiedene Vögel zu erlauschen und zu erkennen, ist das Naturerleben perfekt. So geschehen heute bei der achtsamen Vogelbeobachtung mit Jana von "Wort und Wildnis". Wir konnten erleben,
was aus einer ehemaligen Baumschule für ein zauberhaftes Gelände werden kann. Bei uns in Buchholz fällt den Stadtobersten nichts Besseres ein, als eine Baumschule zu einem Gewerbegebiet
umzuwidmen. Eine Gelegenheit zur nachhaltigen Gestaltung unserer bedrohten Welt verpasst, in Buchholz - zehn Kilometer weiter sieht man, wie es besser geht.
Manchmal sieht man besser, wenn man die Farben weglässt und schwarzweiße Strukturen in den Mittelpunkt stellt.
Dienstag, 3. September 2024
Idyll ohne Brieftauben
Verlassene Häuser erzählen meist nur einen Teil ihrer Geschichte. Irgendwas erzählen sie aber immer. In dieser Siedlung lebten Familien, seit vielen Jahrzehnten, und sie haben gegrillt, mit ihren Hunden und Kindern gespielt und Brieftauben gezüchtet. Der Taubenschlag steht mittlerweile leer, der hiesige Regionalverband des Verbandes der Brieftaubenzüchter wurde schon vor Jahren aufgelöst, zu wenige Mitglieder. Aber die Aktivitäten sind nicht eingeschlafen, "der Sportfreund R. aus der RV Harburg von 1925 erhielt 2021 auf einen Gutschein von unserem Schlag eine Täubin, die bereits jährig zu seinen besten Tauben gehörte und gleich 4x schlagerste Taube war." Glückwunsch!
Hier wird es nie wieder so idyllisch sein, die Bebauungspläne liegen schon in den Schubladen. Wirklich verloren ist diese Vergangenheit aber nur, wenn sie
vergessen wird. Und sie entlässt uns sowieso nicht völlig frei in die Zukunft. Das Erbe der Brieftaubenzucht sind zumindest zu einem erheblichen Teil unsere Stadttauben. Sie sind ausgewildert,
haben nicht nach Hause gefunden, und suchen nun eine neue Heimstatt in der Innenstadt. Da können sie sich nicht artgerecht ernähren, sind anfällig für Krankheiten und verschmutzen die Stadt. Man
sollte damit umgehen - wie z.B. mit dem Taubenschlag an der Nordheide-Sporthalle. Von den Tauben lernen...
Ein Haus nach dem anderen in der Straße wird entmietet, aber einige Bewohner haben lebenslanges Wohnrecht. "Wir werden Ihnen ein Angebot machen, das sie nicht
ablehnen können..." Unangenehme Assoziationen schleichen sich ein. Kleine Leute haben keine große Lobby. Die Bebaunngspläne werden allgemein begrüßt, auch von den Umweltverbänden. Nähe zum
öffentlichen Nahverkehr, Verdichtung im innenstadtnahen Bereich, alles Chico. Mich hat es berührt zu sehen, was für ein Idyll hier stirbt.
Mittwoch, 20. August 2024
Österreichische Nachlese:
Die Esel vom Neusiedler See
Ein Tag am Neusiedler See kann einen aus der Zeit werfen. Als Kind war ich schon mal dort gewesen und war völlig enttäuscht, weil ich nur Schilf zu sehen
bekam. Nach dem Donau-Delta ist der Neusiedler See das größte Schilfgebiet Europas. Wenn man am Ostufer entlang wandert, kann man über das Schilf drüberweg sehen und sieht Rust auf der anderen
Seeseite. Wenig südlich davon war 1989 das ge-schichtsträchtige Picknick, das DDR-Bürger dort veranstalteten, um bei der Gelegenheit das halboffizielle Loch im Eisernen Vorhang zwischen Ungarn
und Österreich zur Flucht zu nutzen. Heute ist die Region ein Ausflugsziel der Wiener, und wenn die zuhause bleiben, hat man Ruhe. Vögel, Schmetterlinge, Schilf und ein frischer Sommerwind
begleiteten uns auf unserer Wanderung. Und der wilde Wein, der flächendeckend die nicht mehr bebauten Flächen in Seenähe erobert hat. Eine Kuhherde wird über die Wiesen getrieben, die weißen Esel
stehen im Sandeck bei Illmitz und arbeiten an der Erhaltung ihrer Rasse. Es gibt nur noch wenig mehr als 200 von ihnen - unter anderem auch im Zuchtprogramm des Tierparkes Schwarze Berge bei uns
im Landkreis Harburg (Bild untere Zeile rechts). Dort heißen sie Barockesel, und das sind sie: gezüchtet an Fürstenhöfen des siebzehnten Jahrhunderts, als auch Joseph Haydn im nahen Eisenstadt
beim Fürsten Esterhazy in Lohn und Brot stand.
Freitag, 11. Juli 2024
Die Baumreptiloide vom Großen Arbersee
Auf der Rückfahrt von Wien machten wir ein paar Tage Halt im Bayerischen Wald. Beeindruckt waren wir von den Baum-reptiloiden am Großen Arbersee. Ur-Monster unter
der Erde streckten ihre Fühler nach uns aus, schlugen kleinere Säugetiere und erstarrten sofort in un-schuldiger Baumhaftigkeit, wenn man genauer hinsah. Wir kamen heil davon, vielleicht auch
weil sie unseren Respekt vor ihrer gewaltigen Erscheinungen spür-ten und wertschätzten. Das Schöne ist nichts als des schrecklichen Anfang... ich hatte es schon in andererm Zusammenhang vor
wenigen Wochen in diesem BilderBlog erwähnt.
Donnerstag, 11.Juli 2024
Museum Gugging
Darauf waren wir nicht vorbereitet. Ein abendlicher Radspaziergang führte uns vom Campingplatz in Klosterneuburg vor den Toren Wiens in die Ausläufer des
Wienerwaldes bis Maria Gugging. Und erst nach der Rückkehr stellte ich fest: Der Name des Ortes kam mir nicht zufällig bekannt vor. Es war in meiner früheren Szene ein fester Begriff: Das Zentrum
der Kunst von Psychiatrie-Patienten. In der Nachfolge von Prinzhorn und der gleichnamigen Sammlung der "Bildnerei von Geistes-kranken" in Heidelberg wurden in Gugging Menschen mit
Psychiatriegeschichte gezielt gefördert. Nach der Schließung der ehemaligen Landesirrenanstalt in Gugging entstand mit dem Museum Gugging eine einzigartige Sammlung von Werken dieser
Künstlergruppe, die auch das Interesse von Jean Dubuffet, Brian Eno und David Bowie fanden. Wir sahen neben der Dauerausstellung mit Werken von August Walla, Oswald Tschirtner oder Laila Bachtiar
eine Ausstellung mit beeindruckenden Werken der schizophren erkrankten Künstlerin Else Blankenhorn (oben links und mittlere Zeile rechts, Geld für Mama), künstlerisch beeindruckend und
seelischerseits ein verwirrender Beziehungsdschungel mit Kaiser Wilhelm, dem sie anverlobt war, und Bildnissen ihrer selbstgeschaffenen Währung für verschiedene Günstlinge (zum Beispiel die
Mama), alles sehr farbig. Gugging hat noch heute, zwanzig Jahre nach der Schließung des Psychiatrischen Krankenhauses, im Haus der Künstler eine Wohnstatt für die Klinik-Maler. Nach der grausamen
Geschichte der Klinik Gugging in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis gegen psychisch Kranke ist daraus heute ein ermutigender Ort geworden.
Mittwoch, 10. Juli 2024
Vienna streets
Wien ist bedeutend lebendiger als sein berühmter Zentralfriedhof (Wolfgang Ambros: https://www.youtube.com/watch?v=nFgj6vJEZrE). Ob die Zeichenklasse an der
Wien (neben-stehend), der Ballspielkäfig nahe dem Hundertwasserhaus, der einsame Bär auch gleich da um die Ecke, der Rentner am Yppenplatz mit der Heraus-Forderung ("Heraus zum 1. Mai"), ob bei
der Regenbogenparade (unten Mitte) oder auf dem Brunnen-markt - es herscht eine bunte Mischung von Übermut, Wehmut, Wagemut, Hochmut und Demut. Die ist unterm Strich sehr lebendig. Aber auch sehr
doppeldeutig. "Der Tod, das muss ein Wiener sein, genau wie die Lieb a Französin..." sang einst Georg Kreisler (https://www.youtube.com/watch?v=swnOC-g5hzA). Ich als Nicht-Wiener kann das nicht
bestätigen.
Freitag, 21. Juni 2024
...denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang
(Rilke, Duineser Elegien)
Krankenhaus und Kirche Am Steinhof
Am Steinhof in Wien Prenzling ist eine Klinik, die als fortschrittliche Psychiatrie Anfang des letzten Jahrhunderts begann, dann im Driten Reich Ort furchtbarster
medizinischer und menschlicher Verbrechen wurde und heute zum Teil noch Allgemeines Krankenhaus ist, zum Teil Gedenkstätte und Ort für Kunst und Kultur. Außerdem steht hier die schönste
Jugendstil Kirche vielleicht nicht nur Wiens (wie ich finde). Sie wurde gleichzeitig mit den sechzig Pavillons der Klinik 1907 eröffnet, alles entworfen vom Architekten Otto Wagner. In der
Gedenkstätte und mit dem Mahnmal hier auf dem ersten Foto wird der 800 Kinder gedacht, die hier im Spiegelgrund, wie die Kinderklinik hieß, umgebracht wurden. Ihre Organe wurden aufbewahrt und
z.T. noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg zu wissenschaftlichen Zwecken untersucht. Die sterblichen Reste einiger aus Hamburg an den Steinhof verschobenen Kinder kamen 1996 Jahren zurück in
ihre Stadt und konnten auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt werden.
Das Mahnmal für die ermordeten Kinder und die Gedenkstätte erinnern an die Opfer der Psychiatrie und der Nazi-Ideologie am Steinhof. Die Jugendstilkirche von Otto Wagner erinnert an die Güte der Kirche und die Barmherzigkeit der Heiligen. Ästhetisch ist sie eine Freude. Ethisch ist die kommentarlose Präsentation des Jugendstils fragwürdig. Auf diesem Gelände ist Monströses geschehen. Da kann man nicht nur den guten Willen der guten Menschen loben und den Rest vergessen. Ich habe zumindest bisher keine Auseinandersetzung der Kirche mit der Krankenhausseelsorge am Steinhof in den dreißiger und beginnenden vierziger Jahren gefunden. Zum Glück gibt es aber viele Erinnerungen an die Menschen, an die Kinder, ihre Lebensgeschichten und ihr schweres Schicksal. Das Parkgelände mit den Pavillons steht seit hundertzwanzig Jahren, die Jugendstillaternen leuchten, die güldenen Engel über dem Kirchenportal falten demütig die Hände. Die Geste heißt in Indien "Namasté": Das Heilige in mir grüßt das Heilige in Dir. Das ist gut. Aber reicht es?
Die oberen Zeilen zeigen Bilder vom Gelände des Krankenhauses. Es beherbergt seit einem halben Jahr auch das "QueerMuseumVienna", zur Zeit mit der Ausstellung "Is queer political?". Unten sind Bilder der Anstaltskirche, die seit 2000 renoviert wurde und vor dem Verfall gerettet. Seit 2022 gehört sie zum Konzern "WienMuseum".
Donnerstag, 20. Juni 2024
Graffitigalerie Wien Donaukanal
Mit dem Fahrrad entlang dem Donaukanal von Heiligenstadt, vorbei an der von Hundertwasser verzierten Müllverbrennungs-anlage Spitellau bis zur Urania am Zufluss des
Flüsschen Wien, der hier kurz überirdisch verläuft (jenseits des Stadtparks verschwindet die Wien im Untergrund wie der Dritte Mann) - hier fährt man kilometerlang an der buntesten
Graffiti-Galerie entlang, die ich kenne. Großenteils gehören die bemalten Wände zu den Hundert Jahre alten Kasematten der S-Bahn und Straßenbahn, die hier am Donaukanal entlangfahren, und das
stylische alte Mauerwerk bildet einen genialen Kontext zum Sprayer-Wahnsinn. Ab und zu gibt es hundert Meter, die offiziell für murals vorgesehen sind, aber die weitaus längste
Strecke ist wild entstanden und verändert sich ständig. Es gibt nur wenige pieces, die wie das oben abgebildete schon seit 2018 zu sehen sind - Respekt vor der künstlerischen Leistung
schützt dieses großartige Werk davor, übermalt zu werden. Wo habe ich tagsüber schon mal Sprayer ganz öffentlich an der Arbeit gesehen, mitten in der Stadt? Mein Bild von Wien ist gesprayt, nicht
barock verziert und vergoldet.
Sonntag, 14. April 2024
Exkursion I
Wald im Wandel
Zwischen altem Baumbestand mit Laub-wald und Nutzwald mit Fichten wächst nach Windfall und Dürreperioden eine neue Artenvielfalt aus Eiche, Erle, Kirsche und
anderen Bäumen, die an die veränderten Klimabedingungen besser angepasst sind als manche der vertrauten Sorten. Dazwischen gibt es die Infrastruktur früherer Tage: die alte Fischerhütte, einen
Mönch am nicht mehr bewirtschafteten Fischteich, den Hochsitz mit nicht mehr vollständig vertrauenswürdiger Konstruk-tion. Bauernland ist im Umbruch, und unsere Exkursion in den Wörmer Forst hat
beeindruckend vor Augen geführt, mit welchem Engagement und welcher Sachkenntnis Bauern heute mit den Herausforderungen umgehen. Obwohl niemand weiß, was in fünf oder zehn Jahren mit
unseren Wäldern geschehen sein wird. Wie bis dahin jeder in und um Buchholz diese Arbeit unterstützen kann: Feiern im Backhaus des Hofs Kröger, kaufen beim Hofladen oder den Marktständen des Hofs
Wörme, und die leckeren Produkte aus den Forellenteichen von Kröger kaufen!
Freitag, 22. März 2024
Harzhäuser
Nicht alle Häuser im Harz sind baufällig, abgerockt oder einsturzgefährdet. Aber für den Bewohner der Metropolregion Hamburg sind es doch eher viele, und das fällt ins Auge. Überraschend viele von diesen Häusern sind denkmalsgeschützt. Nützt aber nicht viel, die Kommunen sind überfordert, Wohnraum hat Vorrang, Infrastruktur für den Tourismus, die Wirtschaft muss gefördert werden. Dabei sind schon viele Häuser oder ganze Ensembles saniert, modernisiert und stilgerecht wieder hergestellt. Trotzdem bleibt der Eindruck: Hier ist aber viel zu tun. Und, bitte schön, den Bahnhof von Rübeland nicht vergessen! den hab ich ins Herz geschlossen.
Donnerstag, 21. März 2024
Die Kunst des Verfalls
Mir war auch die Formel von der "Ästhetik des Widerstands" durch den Kopf gegangen, aber die Verwendung dieses Konzepts richtet sich bei Peter Weiss gegen
totalitäre Systeme, speziell gegen den Faschismus. Die Ästhetik der Lost Places wendet sich am ehesten gegen den Kapitalismus, der mit seiner Rendite-Fixierung ehrwürdige Gebäude
verkommen lässt, weil es sich nicht mehr lohnt. Es rechnet sich einfach nicht. Das muss als Argument ja wohl reichen. Schon der Abriss wäre zu teuer, also lässt man es einfach verrotten. Und die
Geister, die diese Gebäude bevölkern, fallen zum einen in die Gruppe der Vandalen (Obacht, toxische Vokabel, die Vandalen sprachen einen östlichen Dialekt, der aber nicht sächsisch gewesen sein
soll), neigen also zur rücksichtslosen Zerstörung von Fenstern und sanitären Einrichtungen, oder zu Diebstahl von Kupferrohren und Leitungsdrähten. Die andere Gruppe nutzt die Gebäude für
Spray-Versuche, begonnen beim einfachen Vulgär-Slogan bis hin zum ausgefeilten Kunstwerk. Letzteres ist eher selten, aber es gibt immer wieder Graffiti, die auch in der Kunstgalerie ausgestellt
werden könnten.
Und es gibt die ungeplante Ästhetik des Zufalls: Da hängt der rausgefallene obere Fensterrahmen in genau dem richtigen Winkel schräg über dem unteren, genau so
muss es sein. Die Plastikfolie über dem zerstörten Fenster wird zum abstrakt flächigen Exponat. Das Heizungsrohr schmiegt sich an die Wand, in einer perfekten Biegung. Keiner hat das geplant, und
warum auch, es wäre ja nicht besser geworden. Ich liebe diese Entdeckungen. Auf mich haben sie heilende Wirkung. Ist ja auch eine alte Heilstätte.
Mittwoch, 20. März 2024
Freie Feldlage Harzgerode
Die Freie Feldlage ist eine Lebensge-meinschaft, die sich nach dem Wegenamen benannt hat. Die "Freie Feldlage" führt von der Mägdesprunger Straße zur
ehemaligen Heilstätte für lungenkranke Kinder. Ihre Wurzeln reichen ins Jahr 1927 und zum "Neuen Bauen" im Umfeld des Bauhauses. Schmuckbänder aus rotem Klinker, runde Fenster und geschwungene
Linien ergeben mit den nüchternen Baukörpern ein reizvolles Formenspiel. Fast zwanzig Jahre standen die Gebäude nach Schließung der Klinik leer. Seit sechs Jahren leben mehr als ein Dutzend
Menschen hier, arbeiten gemeinsam an dem gigantischen Projekt, den denkmalgeschützten Komplex zu erhalten und mit Leben zu füllen. Queer, rauchfrei, hierarchiekritisch, nachhaltig - das Kollektiv
hat sich viel vorgenommen. Ein bisschen Größenwahn gehört schon dazu. Aber die Ideen und die Gebäude sind so schön, da lohnt jedes Engagement.
Dienstag, 19. März 2024
Harz
nice!
schwarz
weiß!
Was steht hier nicht alles leer: Lok-schuppen, Verwaltungsgebäude, Berg-werke, Plattenbauten... Und alles enthält Geschichte. Die eigene, die der Region, die
des Landes. Das Absperrgittergewerbe hat Hochkonjunktur. Einen Spalt gibt es immer. Videoüberwacht? Na ja... Die Dokumen-tation des Verfalls steht unter dem Verdacht des Hausfriedensbruchs. Der
Kulturbruch, der darin besteht, die Gebäude und die Erinnerung verfallen zu lassen, ist voll legal. Gut, Gerechtigkeit findet man im Rechtssystem nicht oft auf den ersten Blick. Aber was dieser
Verfall für das Bewusstsein der Bevölkerung in der Region bedeutet, das lässt sich sicher rechtlich nicht quantifizieren. Das steht auf einem anderen Blatt. Dabei sprechen die Zeugen der
Vergangenheit in den Ruinen eine irgendwie eindeutige, aber gleichzeitig oft mehrdeutige Sprache: Sie berichten von den ästhetischen Bemühungen der Architekten und Handwerker vergangener Epochen,
die nicht nur den Ruhm der Bauherren mehren wollten, sondern auch das Leben und den Alltag bereichern (nicht nur sich selbst). Die Bauten bezeugen eine Vergangenheit voll Arbeit, Ungerechtigkeit,
Sinn für Schönheit und Überflüssiges, Machtgefälle und Sinnsuche. Das hat auch schon damals nicht immer geklappt in diesem Interessenwirrwarr und dem Irrsinn von Akkumulation, Aristokratie und
Bürokratie. Werner Tübke hat das in seinem einzigartigen Monumentalpanorama in Bad Frankenhausen (hier um die Ecke) auf beeindruckende Art und Weise künstlerisch gestaltet und dokumentiert.
Leider darf man da nicht fotografieren. Aber streng genommen in vielen der Ruinen auch nicht.
Montag, 11. März 2024
Neu im Schaufenster:
150 Jahre Eisenbahn in Buchholz
Die sechste Fotoaustellung im Schaufenster des Buchholzer Bahnhof-CaFée (Gleis 1) steht im Zeichen des Buchholzer Eisenbahn-geburtstags. 1874 wurde die Bahnlinie Hamburg-Buchholz-Ruhr-gebiet eröffnet und Buchholz bekam seinen ersten Bahnhof. Da wird aus dem Jahr 2024 auf Buchholz und die Bahn geguckt. Alte Niederbordwaggons stehen auf dem Abstellgleis (s. links), vieles rostet vor sich hin, frische Graffiti fahren auf Bahnwagen durch die Stadt oder schmücken die Betonwände am Bahnhof und an den (Partnerschafts-)Brücken. Aus dem Leitartikel zur Ausstellung:
"Vor 150 Jahren begann die
Eisenbahngeschichte von Buchholz mit der Strecke Hamburg-Buchholz-Paris. Zunächst sollte sie über Jesteburg (und an Buchholz vorbei) führen, um zu starke Steigungen zu vermeiden.
Aber die neuen Lokomotiven schafften dann auch den kürzeren Weg über Buchholz. Die nächste Verbindung führte von Wittenberge über Lüneburg bis Buchholz (1874).
1901 folgten dann die
Heidebahn von Buchholz nach Hannover und kurze Zeit später die Strecke nach Bremervörde. Mit dem wachsenden Verkehrsaufkommen auf den Bahnlinien wuchs die wirtschaftliche
Bedeutung der Bahn für Buchholz. Zeitweise lebten ein Drittel der Bevölkerung von der Bahn. Buchholz begann zu wachsen. In den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts entstanden neue
Wohnquartiere für Eisenbahner. Die Bahn prägte das Ortsbild. Schon 1870 wurde der einspurige Mühlentunnel angelegt. Einen Bahnübergang mit Schranke gab es in der Heidestraße (Jesteburger
Bahn) und seit 1910 eine Straßenbrücke über die Bremer Bahn. 1955 entstand die Brücke Bendestorfer Straße. Tausende von Buchholzern pendeln täglich mit dem Zug nach Hamburg. Ohne Bahn wäre der
Verkehr längst zusammengebrochen..."
Der alte Stückgutschuppen unten beherbergt heute einen sozialen Dienst. Die hundert Jahre alten Häuser an der Bahnhofstrasse wurden im letrzten Jahr abgerissen (Bilder davon zeigte die vorangegangene Ausstellung, s. post vom 1. September 2023). Ein Zeitzeuge erinnert sich:
„Mitte der sechziger Jahre ging man nach Harburg zum Gymnasium. Das AEG gabs ja noch nicht. Da kamen morgens zwei Züge in Frage: Der Eilzug fuhr um fünf vor sieben, der war immer voll. Der Personenzug fuhr um drei nach. Zum Bahnsteig musste man durch den Fußgängertunnel unter den Gleisen. Der Bahnhof war nur über die Bahnhofstraße zu erreichen. Da kam man am Büro der Bahngewerkschaft GdED neben dem Bahnhofshotel vorbei, wo Bruno Becker residierte. Er war Chef der Gewerkschaft und jahrzehntelang Mitglied im Gemeinderat, natürlich in der SPD. Nebenan war 1924 das erste Buchholzer Kino eröffnet worden, das Hanli. Später kam dann der Heidemarkt da rein, das war der erste Buchholzer Discounter, und es war auch eine Zeitlang Tanzzentrum. Vor zwei Jahren wurde das Gebäude abgerissen. Vieles ist verschwunden. Die tollen Jugendstilüberdachungen aus Holz über den Bahnsteigen wurden Ende der neunziger Jahre innerhalb weniger Tage weggerissen. Im leerstehenden Bahn-Gebäude beim Lokschuppen trafen sich Jugendliche und übten sprayen, bis es vor zehn Jahren entsorgt wurde. Heute steht auch ein altes Stellwerkhäuschen leer und ist ein halbgeheimer Treff. Aber es wird nicht nur im Verborgenen gesprayt. Die Hass-Parole der Fußball-Ultras war vor zwei Jahren monatelang groß von den Bahnsteigen aus zu sehen. Buchholz verändert sich.“
Sonnabend, 10. Februar 2024
Spurensuche in Hamburg (5)
Elfriede in der Hafenstadt
1924 war Elfriede Lohse-Wächtler zum ersten Mal in Hamburg. Sie zeltete mit ihrem Mann am Elbufer (hier gesehen von Finkenwerder aus). Sie lebte dann von 1925 bis 1931 in Hamburg. Sie hatte außer Dresden bisher nur die Sächsische Schweiz und das Böhmerland kennen gelernt. Nun entdeckte sie die Hafenstadt Hamburg. St. Pauli zog sie an, der Hafen, die Menschen. Viele Motive, die sie malte, sind noch heute zu finden (wenn auch teilweise verändert, vergrößert, ver-lassen). Sie malte den Blick vom Altonaer Balkon über den Köhlbrand (noch ohne die große Brücke), die Speicher am Fischmarkt mit der Darrhaube über der Mälzerei Näfeke (heute das Design-Möbel-Kaufhaus Stilwerk), die Anleger für die Elbfähren, die Hinterhöfe rund um den Fischmarkt. Viele Motive von heute könnte sie auch damals schon entdeckt haben: den Frühjahrsdom (seit 1925 auf dem Heiligengeistfeld), die Schilleroper (als Schillertheater mit Aufführungen des Brecht/Weill-Stücks "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" in den zwanziger Jahren), die Schlepper auf der Elbe.
Dienstag, 6. Februar 2024
Spurensuche in Hamburg (4)
Elfriede im Rodenhof (Altona)
Der Rodenhof war einer von vielen Gängen in der Altonaer Altstadt. Davon ist nur noch "Schmidts Passage" übrig, hier links zu sehen, benannt nach dem damaligen
Eigentümer, dem Zimmermeister Schmidt. Schmidts Passage traf sich mit dem Rodenhof-Gang, der heute überbaut ist. Das Quartier zwischen Schillerstraße und Biernatzkystraße wird nach wie vor
geprägt von der Altonaer Petri-Kirche. Zwischen Altbauten wuchsen auf den Trümmergrundstücken neue Wohnblocks, Baulücken wurden gefüllt, es gibt Schiller's Backshop und eine Shiatsu-Praxis, den
Elektro-Fachmarkt "Schalltona" und die kirchliche Kindertagesstätte. Hier kann man leben. Man muss nur die Miete zahlen können, und das konnte Elfriede 1931 nicht mehr und musste deshalb ihr
letztes Hamburger Untermietzimmer räumen. Sie wohnte vorübergehend bei Bekannten auf St. Pauli, übernachtete im Bahnhofswartesaal (den gibts heute nicht mehr, der Bahnhof Altona ist ein zugiges
Einkaufszentrum) oder in Kneipen. Dann ging sie zurück nach Dresden, weil sie nicht weiter wusste. Aber ihre Eltern konnten bald auch nicht mehr mit ihrer nervösen, misstrauischen und ängstlichen
Verfassung zurechtkommen und sie wurde 1932 in die Psychiatrie in Arnsdorf bei Dresden eingewiesen. Dort blieb sie bis zu ihrem Tod in der Gaskammer von Pirna-Sonnenstein im Jahr
1940.
Montag, 5. Februar 2024
Spurensuche in Hamburg (3)
Elfriede in der Fruchtallee
Die Fruchtallee war seit alten Zeiten Teil eines Heerweges, der über die Fruchtallee und die Schäferkampsallee weiter zum Dammtor führte. Heute eine
sechsspurige Hauptverkehrsachse, war sie auch vor hundert Jahren schon gut genutzt von den Bewohnern der Arbeiterqurtiere und Mietskasernen, die die Gegend zwischen Eimsbüttel und der
Sternschanze dominierten. Im Zweiten Weltkrieg wurde fast alles in Schutt und Asche gelegt und nach dem Krieg wuchsen hier acht- bis fünfzehnstöckige Wohnbauten. Das Haus, in dem Elfriede
Lohse-Wächtler um 1929 in der Fruchtallee 111 zur Untermiete bei einem Dentisten lebte, steht nicht mehr. Zwischen Hausnummer 109 und 115 ist eine Lücke mit ein bisschen Grün und vielen
Parkplätzen. Heute man man an den Klingelbrettern der Wohnblocks Namen aus allen Teilen der Welt lesen.
Sonntag, 4. Februar 2024
Spurensuche in Hamburg (2)
Elfriede in der Osterstraße
Das erste Untermietzimmer von Elfriede Lohse-Wächtler, nachdem sie sich zum wiederholten Mal von ihrem Ehemann Kurt Lohse getrennt hatte, war in der Osterstraße 63.
Das Haus, in dem sie 1927 lebte, steht nicht mehr, es fiel dem Bombenkrieg zum Opfer. Heute stehen an der Stelle die typischen Rotklinker-Blocks der frühen sechziger Jahre. Dazwischen die
Glaserei Struckmann, die ungefähr zehn Jahre nach Elfriede in der Osterstraße ihren Laden mit Werkstatt eröffnete. Im Schaufenster der Glaserei, die auch Spiegel und Bilderrahmen anbietet,
spiegelt sich die historistische Fassade der Osterstraße gegenüber. Wenn man durch einen Torbogen durchgeht zur Henriettenstraße, die parallel zur Osterstraße verläuft, kommt man in die
Hinterhöfe mit der Glaserei-Werkstatt und mit Garagen, die dort errichtet wurden, wohin das Zimmer von Elfriede blickte. Heute ist die Osterstraße beruhigt mit dem Schwerpunkt auf Radfahrer- und
Fußgängerfreundlichkeit. Eimsbüttel ist kein echtes Arbeiterviertel, aber an einem der Fahrradhäuschen gegenüber klebt ein Plakat mit der Erinnerung an den Hamburger Aufstand von 1923. Eine von
der KPD Wasserkante ausgerufene Revolte konnte sich in Eimsbüttel und Barmbek eine kurze Zeit halten, wurde dann aber schnell niedergeschlagen. Elfriede hate in Dresden als junge Frau auch an
Veranstaltungen des Spartakus-Bundes teilgenommen - aber als sie nach Eimsbüttel zog, war der Hamburger Aufstand schon die Geschichte einer Niederlage.
Freitag, 2. Februar 2024
Spurensuche in Hamburg (1)
Elfriede und die Psychiatrie in Friedrichsberg
Seit dem letzten Eintrag hier im Bilder-Blog sind ungewöhnlich lange zwei Monate vergangen. Wie kommt's? Eine Veranstaltungsreihe des
Buchholzer Kunstvereins anlässlich des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus' am 27.1.2024 hat die Zeit gebraucht. Wir haben eine Gedenkfeier am 27.1. ausgerichtet, zu der über 200
Zuschauer und -hörer kamen, und dort kamen die Texte zum Einsatz, die ich über verfolgte Maler*innen der 20er/30er Jahre in Hamburg im letzten Jahr geschrieben hatte. Und am 31.1. habe ich mit
einer Referentin zusammen einen Vortragsabend über Elfriede Lohse-Wächtler bestritten, die das Leben herausgefordert hat und Kompromisse in den Wind geschlagen, "wollen wir leben / das Leben",
hat sie geschrieben, und gemalt auch in den Monaten in der Hamburger Psychiatrie 1929 und auch noch zu Anfang der acht Jahre in der Psychiatrie Arnsdorf bei Dresden (1932-1940), bis sie gebrochen
war und 1940 im Rahmen der Aktion T4 von den Nazis ermordet wurde.
Ich bin auf ihren Spuren in Hamburg herumgelaufen und habe fotografiert, in verschiedenen Wohnquartieren, wo sie ihre Untermietzimmer in den Jahren von 1925 bis 1931 hatte, und auf dem Gelände der früheren Irrenanstalt Friedrichsberg (heute Schön-Klinik Eilbek). Ich bin Spuren der Vergangenheit begegnet und dem neuen Hamburg, alten Bäumen auf dem Krankenhausgelände, die dort seit 150 Jahren stehen, und den Neubauten der modernen Klinik mit der modernen Psychiatrie-Station und modernen Behandlungsmethoden. Als ich in den achtziger Jahren in diesen Stadtteilen ambulant sozialpsychiatrisch gearbeitet habe, war die Psychiatrie noch in einem (besonders von außen) schönen, aber laut hallenden und eher altmodischen Gebäude außerhalb des eigentlichen Krankenhausgeländes, das hatte mir gut gefallen, und die ganze Moderne unter dem irreführenden Namen "Schön" hat das Ganze nicht gerade beseelter gemacht. In einer Sitzecke im Gebüsch fand ich die Schnapsflaschen im Papierkorb, mit denen sich vielleicht die Patienten die Pausen vertrieben haben, in denen sie nicht durch die Entzugsbehandlung auf Station beansprucht waren. Ebenfalls am Rand die Belüftungsrohre für den alten Weltkriegs-Bunker am S-Bahnhof Friedrichsberg (Foto oben) . Bedrohung ist überall, manchmal als Erinnerung. Hier also das Kapitel mit den Bildern aus Friedrichsberg. Elfriede war hier 1929 für zwei Monate im Haus zehn (mittlere Reihe links) untergebracht. In dieser Zeit entstand ihre berühmte Werkreihe "Friedrichsberger Köpfe".
Die letzte Reihe zeigt die provisorische Behausung, die Wohnungslose am Rand des Krankenhausgeländes im Park versteckt haben. Elfriede war in den letzten Wochen ihrer Hamburger Jahre auch ohne Obdach, ihre Untermietzimmer hatte sie nicht mehr bezahlen können.
Heute erinnert an die Malerin der Elfriede-Lohse-Wächtler-Rosengarten auf dem Gelände der Schön-Kliniken sowie der Elfriede-Lohse-Wächtler-Weg auf dem Teil des Areals, der früher auch Klinik war und im Zuge der Privatisierung der Klinik abgeteilt und mit Wohnblocks bebaut wurde. Hier gibt es Straßenkunst nach Bildern der Künstlerin. Und es gibt eine Tafel unter der S-Bahn-Brücke Friedrichsberg zur Geschichte der Irrenanstalt Friedrichsberg. Lohse-Wächtler ist nicht vollkommen vergessen. Ihre Bilder (soweit nicht zerstört) kann man noch sehen. Und ihr Leid ist nicht aus der Welt.